Über den Anstand

Der Anstand in depressiver Zeit

Anstand!? … Ich stehe nicht an, Anstand zu verlangen und zu behaupten …. er musste an der Grenze gar nicht anstehen (weil sie weg war) …. sie stand nicht an, ihrem Chef mal richtig die Meinung zu sagen …. Bei Duden Online kann man lesen, Anstand sei süddeutsch, österreichisch und ein veralteter Begriff. Anstand veraltet!

Hoho, das ist jetzt witzig, ja, das könnte man meinen: Anstand scheint schwer aus der Mode gekommen.

Oder ist es allgemeine Gepflogenheit, gut auf sich zu achten, für sich einzustehen, Verantwortung zu übernehmen für sich und die Taten?

Zum Beispiel Merkel

… deutsche Kanzlerin für viel zu lang, sagte 2918 in einer Talkshow, der „Fall Susanna“ tue ihr leid. Ja, sagte sie, politisch betrachtet, habe sie die Verantwortung. Ahoi, das ist stark: Der politische Anstand, wie ich ihn kennengelernt habe, hätte verlangt, dass Frau Merkel spätestens da, wo sie sogar selbst zugab, die politische Verantwortung zu haben, zurückgetreten wäre vom Amt. Tat sie nicht.

Der Mord an Susanna F. geschah am 23. Mai 2018. Die 14-Jährige war vergewaltigt und erwürgt worden. Ein irakischer Asylbewerber gestand die Tötung, wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Naja, bald dürfte er frei sein. Weil in Deutschland der Standpunkt steht, lebenslang sei nur 15 Jahre oder so und nicht mehr ein ganzes Leben lang. Ist das Anstand?

Was ist eigentlich Anstand?

„Als Anstand wird in der Soziologie ein als selbstverständlich empfundener Maßstab für ethisch-moralischen Anspruch und Erwartung an gutes oder richtiges Verhalten bezeichnet. Der Anstand bestimmt die Umgangsformen und die Lebensart“, heißt es bei Wikipedia.

Aha, es geht also um Selbstverständlichkeit.

Natürlich ist Anstand zeitabhängig. In Stuttgart, meiner Geburtsstadt, wird neuerdings ein blasphemisches „Theaterstück“ aufgeführt, das die Regisseurin im Mittelalter zur Zeit der Inquisition auf den Scheiterhaufen gebracht hätte. Mehr als unanständig, gottlos und des Teufels hätte man sie genannt.

In den 1980er Jahren hätte man Sado-Maso-Inszenierungen an subventionierten Staats-Theatern einfach nicht gebracht. Ich weiß auch gar nicht, ob irgendwer so eine Idee gehabt hätte. Also der Begriff von Anstand wechselt, wandelt sich. Die Frage ist, so finde ich, was wir individuell für eine Meinung haben – und ob überhaupt wir Standpunkte beziehen.

Standpunkte fühlen sich einfach gut an: Coaching-Übung.

Die Rosemarie, die Edelhure

Rosemarie Nitribitt von dem Foto oben war nicht Kanzlerin, aber auch sehr zielbewusst. Sie war, hörte ich als Kind flüstern, eine Edelhure. Ich hatte keine Ahnung, was eine Hure und gar Edelhure war, aber fand ihre Kleider sehr edel und das süße Auto auch, und damit hatte der Begriff, nahm ich an, zu tun. Ich glaube, die Nitribitt wäre nicht im Traum auf die Idee gekommen, ihren Busen für Fotos bloßzulegen und die Fotografen unter ihre Röcke schauen zu lassen, ob sie wohl einen Schlüpfer trüge oder nicht. Wie das heute Schlagersängerinnen tun. Ich glaube, sie hat ihren Wert und damit den Tagessatz ins Unermessliche gesteigert, gerade weil sie das nicht tat, sondern sich anständig gab. Und sie hatte klare Standpunkte: Sie wollte nach oben, liebte Männer und Geld und ihren 190er SL

Nitribitt war eleganter als anständige Durchschnittsfrauen. Eleganz hat aus meiner Sicht mit Anstand zu tun und ist ein weiterer Standpunkt.

Das Foto von Rosemarie Nitribitt fand ich im Portal Rheinische Geschichte. Es befindet sich in der „Kriminaltechnischen Sammlung“ des Polizeipräsidiums Frankfurt/Main. Wem die Urheberrechte  gehören, ist unbekannt. Rosemarie Nitribitt wurde im Oktober 1957 ermordet, der Fall konnte bis heute nicht aufgeklärt werden.

Jemand fragte mich: „Sind Sie eitel?“ Ich antwortete: „Ich glaube nicht, aber ich habe Ansprüche auch an mich!“

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Ohne Anstand und Standpunkt

Also die Frau Merkel trat nicht zurück. Die junge pubertierende Susanna hatte sich vertrauensselig in Gefahr begeben und ist tot und inwischen vergessen, wie die vielen Ermordeten der Zwischenzeit. Fast täglich liest man von „Asylbewerbern“, die sich mit Gewalt, Messern und Macheten nehmen, was sie wollen: Frauen, Aufmerksamkeit, Geld.

Öffentliche Ordnung und Sicherheit wackeln gewaltig. Die sogenannten Flüchtlinge rufen einfach „Asyl“ und dürfen dann ohne Papiere – anstandslos – unsere Grenzen passieren. Der polnische Regierungschef Donald Tusk hat nun die Nase voll und will das Asylrecht aussetzen. Ungarn erwägt den Austritt aus der EU.

Das sind jedenfalls mal klare Standpunkte im Unterschied zum schlichten „weiter so!“, das die meisten Menschen antreibt, die gerne am Status Quo und dem Errungenen festhalten.

Notfall-Regime für Katastrophen

Das Notfall-Regime kennen an sich nur Militärs, Ärzte und Feuerwehren. Es bedeutet, absolut vollständig in den Adrenalin-Modus zu schalten und mit dieser ungebremsten Kampf-Energie erprobte Regeln zur Eindämmung von Notständen auszuführen. Zu der Stuttgarter Theateraufführung eilten die Notfallmediziner, weil Zuschauer reihenweise in Ohnmacht fielen.

Verrückterweise switchen sich auch Normalmenschen in das Notfall-Regime. Sie bewältigen damit den Alltag, der eigentlich das „Normal“ ist, das sie aber nicht mögen, unter dem sie leiden. Der Anstand und die Selbstachtung würden gebieten, das zu enden, nach Alternativen zu suchen, einen Standpunkt einzunehmen, für sich selber einzutreten. Das haben aber wenige gelernt. Die Rosemarie Nitribitt, die von der Armut ganz weit unten weg wollte, tat es.

Ein Klient sagte mir, er müsse jetzt die Insolvenz eines Partners abwenden. Er könne grad keine Zeit aufwenden für das Coaching. Nun macht er das vorher latent verspürte Unglück im nicht richtigen Leben zur Regel und zum Standpunkt.

Das ist unanständig sich selber gegenüber.

Archimedischer Punkt werden

Ich glaube, mir hat der Herr Archimedes die schlechte Note in Physik eingebracht. Der Entdecker der Hebelgesetze habe gesagt, so wurde uns erklärt, „zeige mir einen festen Punkt im All und ich hebe Dir die Welt aus den Angeln!“

Das faszinierte mich enorm. Für mich war glasklar, dass man diesen Standpunkt auch auf das Seelische übertragen konnte. Weil ich darüber nachdenken musste, hörte ich den Ausführungen des Physiklehrers nicht länger zu.

Ein archimedischer Punkt werden! Was für eine tolle einleuchtende griffige Paraphrasierung für Selbstbewusstsein!

„Lasst Euch nix gefallen!“ So hatte mein Vater damals gesagt, als ich Schulsprecherin meines Gymnasiums war und den ersten Schülerstreik Stuttgarts mit organisierte. Ich hatte wirklich keine Liebe für Obrigkeitsstaatlichkeit. Ich war links. Heute bin ich – differenzierter – immer noch gegen Obrigkeitsstaatlichkeit und Bürokratie-Daumenschrauben und Ideologie und für Freiheit. Inzwischen bin ich libertär und das nennen die heutig Linken „rechts“ oder gar „nazi“.

Ich finde, man muss Anstand haben und dazu gehört ein klarer Standpunkt. Sonst wäre man ja ein Blatt im Wind und getrieben und Objekt des Willens anderer. Ausgeliefert, depressiv.

Anstandslos depressiv

Deutschland ist ein depressives Land. Es fehlen starke Vaterfiguren, die Menschen beugen sich unter einem Schuldkomplex, ducken sich weg, nutzen ihre demokratischen Rechte nicht mehr, haben Angst, machen politische Witze hinter vorgehaltener Hand, wie man es aus Diktaturen kennt. Die DDR-Leute machten diese zynischen Witze.

Deutsche lassen sich widerspruchslos irrwitzige Knebel-Gesetze aus Brüsseler EU-Beamtenstuben aufs Auge drücken ohne Widerstand. Ein krasses Beispiel war die monströse DSGVO/Europäische Datenschutzverordnung, die in ihrer Verworrenheit und Unlogik enorme wirtschaftliche Energien bindet und das freie Spiel der freien innovativen Kräfte killen wird, weil es die Kräfte verunsichert. Inzwischen regiert die EU überall hinein: Klimaziele werden den Ländern aufgebrummt, Verbrenner-Autos werden verboten, in die Sozialpolitik mischt sich die EU hinein, in die nationale Verteidigungspolitik – überall.

Die Menschen würden sich wehren, würden sie sich trauen, was sie tun würden, könnten sie auf den Anstand der alten Bundesrepublik Deutschland bauen. Engländer nennen den auch Common Sense. In der Bonner Republik gab es Anstand und Common Sense.

Willi Brandt trat damals eleganterweise zurück, weil die DDR ihm einen Agenten als Vertrauten untergejubelt hatte. Gut, trat er zurück aus Schreck, Trauer oder Anstand? Er hatte jedenfalls einen Standpunkt und Ehrgefühl.

Hass ersetzt Anstand

Ich habe in meinem Leben bereits zwei Parteineugründungen erlebt. Die erste in den 80er Jahren war die der Umweltparei „Die Grünen“. Die wurden, neu in den Parlamenten, gehörig von den alten Parteien angeholzt, dann merkte man: „Es sind auch Menschen!“, man ging Biertrinken, man gewöhnte sich aneinander. Nun gab es wieder eine Neugründung, diesmal auf dem rechten politischen Flügel: Die AFD sitzt in den Parlamenten und ihre Abgeordneten werden nicht angeholzt, man geht auch nicht Biertrinken mit ihnen. Sie werden behandelt, als wären sie keine Menschen.

Je mehr Wähler-Stimmen sie bekommen, desto lauter schreien die bisher Etablierten nach dem Verbot der Konkurrenten. Unfassbar, finde ich. Das ist ohne jeden Anstand.

Pranger ohne Anstand

Die Neuen werden diffamiert, verfemt als „Nazis“ – alle Anstandsregeln, alle Beißhemmungen scheinen außer Kraft. Ein selbsternannte Künstlergruppe etwa durfte ohne Einschreiten von Polizei und Staatsschutz das Grundstück eines AFD-Politikers in Thüringen wochenlang belagern, die Familie an den Pranger stellen, bespitzeln, fotografieren, filmen.

Berlichingen

Die stellvertretende Bundestagspräsidentin wendet sich bei AFD-Redebeiträgen demonstrativ ab, um  Ekel gegen die politische Konkurrenz zu demonstrieren. Sie ist ausgerechnet bei den Grünen, die in ihrer Vergangenheit auch für „mehr Demokratie, Gleichheit, Gerechtigkeit, Buntheit und Vielfalt“ angetreten waren. Sie kehrt dem Plenarsaal, damit den demokratischen Stellvertretern des Volkes, den Rücken zu, als wolle sie das geflügelte Götz-von-Berlichingen-Wort verkörpern, das hier zu zitieren der Anstand verbietet. In Thüringen, Sachsen, Brandenburg versuchen die „Alten“ die stimmstarken AFD-neuen mit Tricks auszuhebeln, von der Gestaltungsmacht abzuhalten.

Vogelschiss

Gehässigkeiten sind an der Tagesordnung. Auch ehrabschneiderische Wortverdrehungen, absichtsvolle Sinnentstellungen gehören dazu! So wurde einem früheren  Oberboss der AFD unterstellt, er habe mit dem markanten Satz, die Nazi-Zeit sei ein Vogelschiss gemessen an einer 1000-jährigen Geschichte Deutschlands, in Wirklichkeit die im NS-Regime Ermordeten verunglimpfen wollen. Gemeint hatte er, die Deutschen sollten an den ehrenvolleren Abschnitten ihrer Geschichte anknüpfen und aufhören, sich nur an die Verbrechen zu erinnern.

Neu denken, Attribuierung ändern!

Psychologisch betrachtet forderte Alexander Gauland zur Änderung des Attribuierungsstils auf. Die Art der Attribuierung ist spielentscheidend für Lebenserfolg und Glück: Wer sich nur ans Schlechte erinnert, wird depressiv. Wer sich an das hält, was erworben wurde an Potenzial durch die Überwindung des Schlechten, wird stärker. Das ist Resilienz-Psychologie modernster Art.

Ochlokratie, Verantwortung, Eleganz und Witz

Ochlokratie heißt „Herrschaft des Pöbels“ und ist nach Aristoteles und Platon zwingende Entartung der Demokratie.

Anstand, Witz, Eleganz haben in Deutschland wundervolle Tradition. Als ich kleines Kind war, hieß der Kanzler Adenauer. Mein Vater war Sozialdemokrat und konnte den Adenauer nicht leiden, obwohl der wie mein Vater ein Nazi-Gegner gewesen war und mit unkonventionellen Aktionen, Verhandlungen mit der UdSSR nämlich, bewirkte, dass Männer wie mein Vater nach und nach aus der Kriegsgefangenschaft nach Jahren der Sippenhaft entlassen wurden.

Ich fand Adenauer deswegen toll, weil er dies sagte: „Wat jeht misch mein Jeschwätz von jestern an, darf isch nid klüjer werden über Nacht!?“ Das ist nicht standpunktlos, wie viele meinen, sondern das ist ein taffer Standpunkt!

Hahahaha, das fand ich kreativ, und ist es auch. Wer irgendetwas als alternativlos betrachtet und nicht über Nacht neue Ansichten und Wege entdeckt, ist dumm und eben nicht kreativ. Sagt die Kreativitätsforschung.

 

Anstand gibt Sicherheit und Selbstwert

Wenn Sie sich darauf verlassen können, dass Ihr Chef kompromisslos für Sie einsteht, würden Kollegen Sie diffamieren und mobben, dann vertrauen Sie diesem Chef und seinem Anstand. Wenn Sie wissen, dass man Ihnen bei Personalgesprächen wirklich zuhört und ehrliches Feedback für Ihre Leistung gibt, dann werden Sie Ihrerseits nicht hintenrum gegen die Chefs stänkern, sondern aus reinem Anstand Loyalität zeigen. Das moderne Wort, das Sie verwenden würden, heißt Fairness.

Aber Anstand geht viel weiter, hat mit Rücksichtnahme zu tun, mit Empathie, mit Liebe, genau betrachtet: Liebe zu sich und zur kulturellen Tradition in der man steht.

Und hier zeigt sich der Weg: Bestimmte Dinge tut „man“ aus Anstand einfach nicht und man tut sie deshalb nicht, weil man sich selber liebt. Hat wiederum mit Würde zu tun, mit Selbst-Achtung und Vertrauen ins eigene Potenzial und mit hohem Selbstwertgefühl. Andere Dinge muss man aus Anstand tun: Man tritt zurück, wenn man politische Verantwortung für ungeheuerliche Verbrechen trägt und kümmert sich um seinen Seelenfrieden.

Eie leichte Anstand- und Selbstwert-Übung:

Das ist ein hübsches Training für Ihr Selbstwert-Gefühl.

Denken Sie sich zu Beginn eine 10er-Skala für Ihr momentanes Selbstwert-Gefühl. Null wäre wenig, 10 das Maximum. Spüren Sie hin, sagen Sie aus dem Bauch raus, spontan eine Zahl.

Jetzt spontan antworten, aufschreiben:

  • Was würden Sie aus Anstand niemals tun?
  • Was empfinden Sie in heutiger Zeit als unanständig, was ärgert Sie?
  • Wen haben Sie schon für seinen/ihren Anstand bewundert und warum genau?
  • Was würden Sie – denken wir in politischen Kategorien – (hätten Sie die Macht) aus reinem Anstand sofort ändern?
  • Welche Traditionen, Bräuche, Gepflogenheiten Ihres Vaterlandes sind Ihnen tief im Herzen heilig?

Wenn Sie alle Fragen beantwortet haben: Wie hoch ist nun Ihr Selbstwert-Gefühl?

 

Fragen, Anmerkungen? Mail schicken, freu mich.