[Dies ist ein Kapitel aus dem roten Tigerbuch. Im Buch selber verblüffend und spannend schön gestaltet. Also schöner. Vielleicht macht Ihnen der Text Lust, das ganze schöne Buch zu kaufen. Viele Übungen. 28 Euro.] Los geht’s:
Charles Cunningham Boycott war ein Grundstücksverwalter im 19. Jahrhundert in Irland, dem die Pächter die Gefolgschaft verweigerten. Sie „boykottierten“ ihn und setzten ihn enorm unter Druck. Manche Menschen machen das mit sich selber: Sie verweigern sich die Gefolgschaft, lassen sich im Regen stehen, kriegen den Hintern nicht hoch, wandeln die Kraft nicht um in Leistung. Werden traurig aus Mangel an Erfolg und verlieren alle Lebenslust.
Selbstboykott ist, die eigene Persönlichkeit und Größe nicht zu akzeptieren und in aufgepfropfter Bescheidenheit das eigene Licht unter die Scheffel zu stellen.
Viele Menschen machen das – den allermeisten Hochbegabten geht es fast immer so. Fast alle machen sich klein und strengen sich fürchterlich an, nett zu sein. Bloß nicht auffallen! Ich schreibe darüber, um Sie abzuholen, um Sie mitzunehmen, damit Sie sich wiedererkennen und das finden, was als einziges Mittel gegen Selbstboykott hilft: Es heißt Stolz. Davon gleich mehr.
Benennen wir auch erst einmal die sozio-ökonomischen, psychologischen und politischen Gründe für den Selbstboykott hochbegabter Menschen.
„Normale Menschen“ sind solche, die in der Mehrheit sind und deswegen die Norm bilden. Das ist keine Qualitätsaussage, sondern eine mathematische Aussage. Und weil das so ist, richten sich die Schulpläne eben nach der normierenden Mehrheit und nicht nach der kleinen Minderheit der Hochbegabten, was zum schmerzlichen Problem der Unterforderung hochbegabter Kinder führt und auch eines der übelsten Probleme hochbegabter Erwachsener bleibt. Zusätzlich orientiert sich das Schulsystem nicht an den vielen Sonder-Talenten, die es ja auch bei Durchschnitts-Intelligenten gibt, sondern am breiten Mittelmaß.
Unterforderung erzeugt den Boreout, eine Spielart des Burnout, und macht blasiert:
Blasierte wirken überheblich, sind aber in Wirklichkeit abgestumpft aus emotionaler Erschöpftheit, aus Einsamkeit.
Wer unterfordert statt zur Hochleistung heraus-gefordert und ermutigt und angeleitet wird, fängt irgendwann an, abzuhängen. Hochbegabte hängen ab im Mittelmaß.
Ich selbst weiss, wie sich das Mobbing in der Schule anfühlt, das Anders- und Ausgegrenztsein. Das macht Angst vor der Welt und am schlimmsten ist die Angst vor sich selbst, der eigenen Art und Größe. Das setzt sich ins Erwachsenenleben hinein fort.
„Mensch, warum bin ich nicht früher von alleine drauf gekommen, an was es liegt!“ sagte ein Klient im Coaching selbstkritisch. eine unangebrachte Selbstkritik, weil die meisten Hochbegabten eher zufällig von dieser ihrer Besonderheit erfahren. Bei mir war der IQ-Test schlicht Bestandteil einer „Experimentellen Übung“, wo unterschiedlichste Testverfahren vermittelt wurden. Ich wollte den Schein, ich musste notgedrungen auch beim IQ-Test mitmachen und tat das ziemlich verkrampft vor lauter Sorge über eventuell schlechte Befunde meines Intelligenz-Niveaus. Andere werden in der Schule getestet, weil man sie für minderbegabt hält. Mich hielt man allgemein nur für faul. Dabei lernte ich erst im Studium, was Lernen ist, wie man das macht, und auch die Selbstorganisation lernte ich erst da. Man müsste schon Kindern zeigen, wie Lernen geht, dass Diszipliniertheit Ergebnisse bringt und insofern Riesenspaß macht am Schluß! Dass der Spaß am Schluß oftmals genau der Lohn ist für alle Mühen.
Und je mehr aber ein Kind von außen boykottiert und verletzt wird durch Desinteresse und mangelnde Herausforderungen im positiven Sinn, desto mehr flüchtet es sich in das Rationalisieren.
Je intelligenter man ist, desto mehr vertrauen wir mit dem Heranwachsen unserer Intelligenz, unseren kognitiven Fähigkeiten. Eine verständliche ehrenwerte Strategie hochbegabter Kinder, die sich aber irgendwann garantiert selbstschädigend umkehrt. Weil die Lebenslust verlorengeht.
Und von diesem Punkt an ist man Gefangener der eigenen Intelligenz. Man errichtet so seine eigenen Gitterstäbe. Weil die Gefühle auf der Strecke bleiben.
„Viele Hochbegabte haben nie gelernt, in Lust und Freiheit zu leben. Weil sie viel zu sehr damit beschäftigt sind, zu überleben durch Anpassung.
Weil es weder in der Kindheit noch im Studium viel Gelegenheit gab, sich in Ruhe selbst richtig zu erproben, herauszufinden wer man selber eigentlich ist, wie man tickt.“
Diesen Text schrieb mir eine junge Frau, die in Quanten-Physik promoviert hat und zu den Menschen mit dem schnellsten und luzidesten Verstand gehört, die ich kenne. Sie ist Mutter von zwei kleinen Mädchen, die sich beide schon mit 3 Jahren Lesen und Schreiben aneigneten. Die eine hat eine auffallende musikalische Begabung und lange vor der Schule Spaß an Zahlen-Experimenten. Die andere ist ein Energiebündel, schon mit 2 Jahren exzellent sprachfertig und strahlend vor Keckheit und Charme. Im Kindergarten forderte man die Mutter auf, dafür zu sorgen, dass ihr Kind sich besser integriere. So startet Hyper-Anpassung und das Unglück.
Hochbegabte haben einen originellen, von der Norm abweichenden Lern- und Arbeitsstil. Der kann sich im Regel-System nicht entwickeln.
Das fängt in den Schulen an. Das setzt sich in den Arbeitsprozessen fort.
„Hei, ich arbeite nachts am kreativsten, ich darf weder Firmenunterlagen mit nachhause nehmen, noch darf ich nachts in die Firma rein! Was für ein Blödsinn!“ klagte mir ein Entwicklungs-Ingenieur in einem Firmen-Workshop.
Anpassungsdruck schnürt die Luft ab. Wer Fragen beantworten muss, die er längst beantwortet hat und aber für seine eigenen Fragen keine Antworten bekommt, denkt leicht, verrückt zu sein. Hochbegabte sind unnormal, aber verrückt sind höchstens die anderen mit den starren Regelwerken … bei allem Respekt
Die augenblickliche Politik wirkt sich zunehmend übel nicht bloß auf Hochbegabte aus, weil der Gleichheits-Gedanke inzwischen zum Dogma geworden ist. Alle müssen Abitur machen, Ehrensache für die Eltern, Ziel populistischer Politiker, die von den Eltern gewählt werden wollen. Das benachteiligt die Hochbegabten und das benachteiligt die Praktiker, Umsetzer, Handwerker, deren Stärken eben nicht im abstrakten Denken liegen. Die sich auf den erzwungenen Gymnasien ebensowenig frei entfalten können wie die Hochbegabten. Freude an Leistung, ja Hochleistung? Fehlanzeige. Populärer denn je ist das Mittelmaß. Und der Gesellschaft fehlen mittlerweile stolze Handwerker.
Dass Gleichheit vor dem Gesetz ein fundamentaler Baustein freier Gesellschaften ist – logisch, unbestritten! Das Dogma aber wird zum Problem, das Freiheit torpediert.
Man wird zwingend ungerecht, will man allen das Gleiche aufzwingen. Gleichheit sollte jedem Menschen individuell das Seine ermöglichen.
Lern-Stress ist der Feind kreativer Entfaltung. Das betrifft die Praktiker ebenso wie die Abstrakt-Denker. Stress empfinden wir, wenn wir so zu lernen und zu leben gezwungen werden, wie es nicht unserer individuellen Art entspricht.
Hochbegabte und Muggel konnten früher sehr profitieren vom Werken und Handarbeiten, das wieder an allen Schularten unterrichtet werden müsste, wenn es nach mir ginge. Weil die Praktiker, die „Muggel“, dabei ihre Stärken entfalten und Stolz entwickeln können und die Abstrakt-Denker wichtige Grenzerfahrungen machen, durch die sie fundamentale Sekundärtugenden erwerben wie Disziplin, Sorgfalt, Genauigkeit: Dranbleiben an der Sache bis sie fertig ist. Praxiserfahrung: Wer sich in die Finger sticht beim Nähen, passt schnell besser auf, und wer mit der Säge hängenbleibt, probiert so lange, bis das Sägen klappt, hat Erfolg-Freude, lernte Ausdauer. Erfolgserlebnisse konkreter Art brauchen wir alle, denn das macht Freude und bringt den Spaß ins Leben.
Intelligenz wirft sich selbstzweiflerische Knüppel zwischen die Beine und boykottiert Performance.
Eine meiner Klientinnen wurde in der Schule getestet, weil man den Verdacht hatte, sie sei minderbegabt. Sie war völlig ausgestiegen aus dem Unterricht, zu Tode gelangweilt. Beim IQ-Test zeigte sich ein sehr stattlicher IQ von 138. Sie hatte sich komplett mit ihren Fähigkeiten versteckt und mit einem pseudo-idiotischen Verhalten getarnt.
Ebenso hatte es eine weitere Klientin getan, die die Schule komplett boykottierte und in der Verwandtschaft als mitleidig belächelte Schulversagerin galt. Sie war völlig verzweifelt, als sie bei mir anrief und um Hilfe bat. Sie war dermaßen scheu und verschreckt, dass auch ich im ersten Moment an ihrem Verstand zweifelte, ehrlich gesagt. Sie hat aber nun einen IQ-Test mit eindeutigem Ergebnis absolviert und dann beschlossen, das Abitur nachzuholen …. und sie hat inzwischen ihren ersten Roman mit der Ermutigung durch das Coaching veröffentlicht. Sie hat einen eigenwilligen interessanten Schreibstil und interessiert sich für para-psychologische Themen. Beides hatte den Deutschlehrerinnen nicht gefallen, aber die hätten vermutlich auch über Stephen Kings Stil und Themen die Köpfe geschüttelt.
Wieder eine andere Klientin rief mich eines Tages aus der Jugendpsychiatrie heraus an. Sie war dort freiwillig hingegangen, weil sie sich in der Familie und den Schulen so missverstanden gefühlt hatte, dass sie sich mit jungen 14 Jahren dachte, in der Jugendpsychiatrie könne es nur besser sein, als zuhause. Den Irrtum bemerkte sie schnell, aber sie wusste keinen Ausweg – als sie zufällig einen Artikel über Hochbegabung las und sich in fast allem wiedererkannte, was da geschrieben stand. Während des Coachings fasste sie mehr und mehr Mut, gab den staatlichen Behinderten-Ausweis ab und schrieb sich an der Universität ein. Ein enorm großer Schritt, ein Identitäts-Wechsel. Tatsächlich gehört sie zu den wenigen Höchstbegabten, also Menschen mit einem IQ von mehr als 145.
Der 12-jährige Sohn eines hochbegabten Klienten weigerte sich eines Tages, in die Schule zu gehen. Er werde dort ausgelacht, sagte er, dann müsse er weinen, dann werde er noch mehr ausgelacht, also könne er dorthin nicht mehr gehen. Der Verdacht erhob sich, er sei irgendwie traumatisiert, seelisch gestört. Wegen der Schulpflicht wollte man ihn in eine Gruppe für „betreutes Lernen“ stecken. Ich riet, schnellstens einen IQ-Test zu machen. Der fiel mit einem IQ von 146 so hoch ausfiel, dass die Test-Psychologin zu dem Jungen sagte: „Kein Wunder, dass man Dich in der Schule nicht versteht!“
Der Test hat das Leben des so außergewöhnlich begabten Jungen neu ausgerichtet, hat seine quälenden Selbstzweifel weggefegt, hat auch nach außen die Sachlage ein für allemal geklärt. Niemand droht mehr mit „betreutem Lernen“ in der Sonder-Gruppe. Die Schule hat anscheinend die Herausforderung begriffen und den Ball angenommen.
Selbstboykott wächst, wenn sich Menschen von außen unterdrückt, nicht wahrgenommen, nicht gefördert, sondern fehl-eingeschätzt und eben boykottiert fühlen.
Es gibt eine Formel des Selbstboykotts und die geht so:
Unterforderung > Selbstzweifel > Flucht nach innen > Implosion > Depression.
Viele meiner hochbegabten Klienten glaubten schon, eine „Depression“ zu haben, krank zu sein. So sehr richteten Sie den Selbstzweifel nach innen.
Hochbegabte Underperformer oder Underachiever leben weit unter ihren geistigen Verhältnissen, weil sie immer noch, wie in der Kindheit, meinen, sich an den Stil des Mainstreams anpassen zu müssen, was eigentlich unmöglich ist und nur mit schmerzlicher Selbstverleugnung möglich wird.
Hochbegabte haben in der Regel eine hohe soziale und Führungs-Kompetenz, verbergen die aber aus Angst vor der Mehrheits-Meute, die wieder wie damals vielleicht hämisch lacht, anstatt sich führen zu lassen. Also gehen hochbegabte Erwachsene in Deckung und sie schleichen unter Tarnkappen einher, anstatt in Führung zu gehen, wie es vernünftig wäre!
Oder würden Sie im Feldzug lieber vom dümmsten statt vom intelligentesten General angeführt werden? … Natürlich aber müssen Generäle wissen, dass sie Generäle sind, um als solche akzeptiert zu werden!
Führung ist der Weg
aus dem
Selbstboykott!
Das gilt für Erwachsene. Und, wirklich eine uralte Weisheit aus der Coaching-Welt: „Wer andere führen will, muss sich selber führen können.“
Hochbegabte Kinder können sich noch nicht selber führen. Erwachsene können und müssen. Das ist der Weg aus dem Selbstboykott heraus:
Sie dürfen und Sie müssen sich ernst nehmen. Glücklicherweise tun Sie das bereits, weil Sie dieses Buch lesen, also nach Anregung und Hilfe gesucht haben. Sehr gut! Das ist der erste Schritt gewesen. Nun kommt das Üben.
Als ein Journalist bei einem Interview gleich zu Beginn zu mir sagte: „Sie sind ja selber hochbegabt, nicht wahr?“ musste ich erst einmal lachen. Diese meine Reaktion (ich finde sie albern und schämte mich im Nachhinein ein wenig) sagt im Grunde schon alles über die Probleme hochbegabter Erwachsener aus.
Schrecklich für uns Hochbegabte ist die Erfahrung, notorisch nicht verstanden zu werden, weil der Mainstream anders tickt, anders denkt, selten kreativ, meist linear und langweilig denkt. Das Bedürfnis verstanden zu werden, das ist Grundbedürfnis eines jeden Menschen.
Ich antwortete: „Ich komme mir immer noch komisch vor, das frei und offen zu sagen.“ Genau: Man trägt seinen IQ schließlich nicht wie ein Schild vor sich herum … Aber warum eigentlich nicht? Zumindest innerlich vor sich selbst sollten Sie das ab sofort tun!
Die meisten Hochbegabten, die ich kenne, würden das genauso halten wie ich es tat.
Oft höre ich von Klienten auch „Naja, da war mal ein Test, ja, irgendwas mit 143 oder so….“ Oder von Klientinnen höre ich oft, der Vater der hochbegabten Kinder sei sicherlich auch … aber sie selber gewisslich nee, nee … Wow, wir sollten wirklich stolzer werden.
Eine Klientin, die mit Mitte Vierzig alleine eine Unternehmensgruppe aufgebaut hat, kam ins Coaching aus einem vagen Gefühl des Unbehagens. „Es ist ja eigentlich alles gut, ich habe sehr schöne Erfolge, große Pläne – aber irgendwie fühlt es sich nicht gut an.“
Ihr Selbstbewusstsein war groß, aber es war nicht komplett. Auch sie machte während des Coachings einen IQ-Test und das Ergebnis zeigte ihr diesen Teil Ihrer Persönlichkeit und den Grund für so ein latentes Fremdheitsgefühl. „Immer ich so viel schneller als die anderen, die mir unverständlich langsam vorkamen, wieso waren die so öde und lahm, was war da los?“ Und auch diese Ausnahmefrau, erfolgreiche Unternehmerin, Leistungssportlerin, versuchte, sich selber zurückzupfeifen, klein zu machen, strengte sich grausig an, langsamer zu werden. Versuchte nett und brav zu sein.
Einmal in unserem regen Mailwechsel schrieb ich ihr:
„Das ist so, als würde man Archimedes als Schaffner in der Eisenbahn beschäftigen. Nur weil er sich mit Mechanik auskennt.
Das wäre eine Kränkung, eine Demütigung, DAS ist es, was aus Ihnen so oft heraus weinen muss.“
Das Sich-Klein-Machen aus Kränkungs- und Demütigungs-Erfahrungen der Kindheit heraus ist wirklich nicht allein ein Hochbegabten-Problem, aber es ist ein großes Selbstboykott-Thema von hochbegabten Menschen.
Wer Demütigungen erlebt und überstanden hat, ist stärker, als andere, Rundumgepamperte. Klar, das ist Resilienz: Wer Schwäche überlebte, wird stärker.
Und hat auch DEMUT gelernt, was an sich ja nichts Schlechtes wäre, so ein bisschen demütig statt großmäulig durchs Leben zu gehen.
Sprachetymologisch betrachtet, ist Demut die Dienstwilligkeit der KNECHTE, nachzulesen bei DWDS = Der Deutsche Wortschatz. Das wollen wir zitieren, weil eben Demütigkeit und Nettigkeit aus Furcht vor der eigenen Größe eine weit verbreitete Form des Selbstboykotts hochbegabter Menschen ist.
„Demut f. ‘Bescheidenheit, Bereitschaft zum Dienen’, ahd. thiomuotī (um 800), mhd. diemuot ist eine Abstraktbildung zu ahd. thiomuoti Adj. ‘dienstwillig’, das in seinem ersten Kompositionsglied germ. *þewa- ‘Sklave, Knecht’ (vgl. got. þius ‘Knecht’) enthält; ahd. -muoti ‘gesinnt’, nur in Komposita bezeugt, ist Ableitung von muot. Subst. und Adj. können im Ahd. entsprechend der Bedeutung von dienen und Dienst, die sich auf die Treue zum Gefolgsherrn beziehen, ursprünglich die ergebene Gesinnung des Gefolgsmannes bezeichnet haben, bevor sie den christlichen Begriff kirchenlat. humilitās ‘Niedrigkeit, Bescheidenheit’ wiedergeben.“
Hier wird genau beschrieben, woher das Kleinmachen kommt, das letztlich auch mit dem Hochstapler-Syndrom zu tun hat, das viele hochbegabte Skrupel-Besitzer total behindert, wie es im ersten Kapitel „Sind Hochbegabte Angeber“ beschrieben wurde.
Die Unternehmerin formulierte es so:
„Nettigkeit ist, wenn schon, eine verkorkste Unterform von Demut, ein pragmatisches Geschehenlassen. Ein bisschen Dienen aus Gleichgültigkeit, weil es geschickter und einfacher scheint, als andere Optionen. Nettigkeit hat eher ein bisschen Überheblichkeit drin. ‚Ich bin nett zu dir, weil ich’s trotz allem Quatsch von Dir kann. Du kannst mir nix, ich bin trotzdem nett, dann kannst Du mir erst recht nix.’ Nettigkeit ist ein aktives Entziehen der Angriffsfläche.“
Sie beantwortet damit indirekt die verzweifelte Selbstkritik eines anderen Klienten, den ich im letzten Kapitel als Ökonom zitiere, und der seine Haltung so beklagte:
„Warum bin ich immer so scheixxnett zu allen? Ich habe doch meine guten Meinungen, ich bin doch nicht blöd, verdammt, warum sag ich sie denn nicht!“
Auch hier weiß die Unternehmerin gute Gründe zu nennen und zwar die:
„Wenn ich mich mit Mitarbeitern auf eine Ebene gestellt habe, habe ich mich in mehreren Sichten zu ihnen herunter gestellt. Selbstverständlich stehe ich positionell weiter oben. Allerdings spielte ich meine fachliche Kompetenz oft herunter, um die ihre zu erhöhen. Ich wollte sie selbstbewusster machen, damit sie Aufgaben übernehmen, die sie sich oft nicht zugetraut haben oder wussten, dass ich’s besser kann. Also räumte ich eigene Fehler von mir ein und erfand manchmal sogar welche, damit ich weiter runter gekommen bin zu ihnen. Das war ‚nett und demütig’. Gut, liegt inzwischen in der Vergangenheit!“
Wer sein Licht untern Scheffel stellt, kommt darunter um. Der Klügere gibt nach, bis dass er der Dumme ist.
Hochbegabte kommen zu kurz. Hochbegabte brauchen mehr Stolz. Nehmen Sie sich für wahr!
Hochbegabte brauchen mehr Anerkennung und mehr Spielraum. Das fängt beim Stolz auf sich selber und die eigene Leistung an. Sonst ändert sich an der Diktatur des Mittelmaßes nie etwas – zum Schaden der Welt.
read more >>Dr. Berles Tigerbuch.