Pflegekatastrophe statt Flourishing:

Appell zum radikalen Neudenken

alt="Coaching München & Stuttgart: Dr. Berle. Buchcover, Pflegebuch, Schluss, sag ich!"

Osburg-Verlag Hamburg. ISBN: 9783955100780. 208 Seiten. 20 €[D].

Portofrei beziehen über mich: Einfach Mail schicken.

Rezension

Adelheid von Stösser, die bekannteste deutsche Pflegekritikerin, schrieb mir:

Eigentlich wollte ich nur mal überschlägig reinschauen, jedoch dann fing ich an zu lesen und war begeistert. Sowohl von der bildhaften Sprache und Erzählweise die so gar nichts von einem trockenen Sachbuch hat, als auch von den Bezügen zur Lebensgeschichte der drei Hautpersonen, die man, statt ihnen Ehrerbietung entgegen zu bringen nicht für voll nimmt. Ihr taten die „alten Geier mit ihren hängenden Köpfen“ leid und sie stellte fest, wie einfach es war, in diesen alten Frauen wieder die früheren Lebensgeister hervorzulocken. Mit einer anderen Haltung, mit Empathie und der Beachtung einfacher Anstandsregeln. …

Eine Leserin schreibt:

„Es ist unglaublich ehrlich, berührend, aufruettelnd, hat mich das ein ums andere Mal beschämt, zum Lächeln gebracht – zum „JA, genau!!“. Dieses Buch trifft nicht nur den Nerv in der Pflegelandschaft, sondern bringt vieles mehr auf den Punkt – ein wunderbarer Aufruf zur Menschlichkeit. Ein Plaedoyer fuer Respekt, Anstand, Ruecksichtnahme und (Mit-) Gefuehl im Umgang miteinander.“

Amos86 meint:

„…Die Lektüre löste bei mir einen inneren Aufschrei aus und erinnerte mich sehr an die bestürzenden Erfahrungen, die ich selbst bereits im Zusammenhang mit pflegebedürftigen Verwandten gemacht hatte. Ich wünsche mir, dass Verantwortliche in der Politik dieses Buch lesen und sich zum Handeln aufgefordert fühlen.
Das Buch lebt zusätzlich auch besonders von den einfühlsamen Beschreibungen der Senioren.

Diese liebevollen und rührenden Erzählungen über sie, ihre Charaktere und Episoden aus ihren Leben haben mich sehr bewegt und verdeutlichen, wie Bewohner von Pflegeheimen eigentlich behandelt werden müssten: als Menschen, die das Ende eines langen, erfüllten und teilweise auch schweren Lebens in einer angenehmen, wertschätzenden Umgebung verbringen möchten….“

„…mit großer Ergriffenheit habe ich Ihr Buch gelesen. Ja, es sollte in der Pflege um den Menschen gehen und nicht um MDK Noten und viel Geld. Auch ich arbeite in der Altenpflege und würde mir wünschen, dass Ihr Buch von vielen Mitarbeitern gelesen wird, um den Blick wieder neu und bewusst auf die zu Pflegenden zu lenken.
Für mich selbst kann ich sagen, dass ich Ihnen für Ihr Buch und seine Wirkung auf mich sehr dankbar bin.“

Mehr Lesermeinungen hier.

Pflegekatastrophe? „Das will niemand lesen!“

Pflegekatastrophe? „Das will niemand lesen!“

Das sagte Tante Anne. Sie ist 94 Jahre alt geworden und war die beste Freundin meiner Mutter. Sie kannte mich, seitdem es mich gibt. Sie hat mein Buch 90-jährig zwei Mal hintereinander gelesen, weil es sie, wie sie sagt, dermaßen berührt hat. „Aber“, meinte sie, „ich glaube nicht, dass viele das lesen wollen, denn alle haben Angst vor dem Alter und für die Jungen scheint es ja so weit weg zu sein!“ Auch deswegen habe ich das Buch geschrieben: Was ich erlebte, kann Ihnen auch passieren: Mehr.

alt=

„Mein Herz, dass es nicht bricht!“

Ich wollte das Elend bekanntmachen und bewirken, dass sich die Dinge ändern. Deshalb habe ich das Buch geschrieben. Als es erschien, öffnete die damalige Kanzlerin Merkel die deutschen Grenzen, die erste Welle unkoordinierter Flüchtlinge überschwemmte das Land. Niemand mehr war zu interessieren fürs Schicksal der armen Alten in den ekligen Pflegeheimen.

„Schluss, sag ich!“ Das sagte die Zahnarztwitwe Frau Edith oft, die fünf letzte Lebensjahre zusammen mit meiner alten Mutter an einem Pflegeheimtisch saß. Von ihr kommt also der Buchtitel. Es hätte auch heißen können: „Mein Herz, dass es nicht bricht!“

Die Geschichte fing an, als ich eben frisch geschieden und beseelt war eigentlich nur von einem einzigen Gedanken, mein Leben ganz neu zu ordnen und noch einmal richtig in den Steigflug zu gehen. Es kam anders, ich sauste in einen Lebensabschnitt hinein, den ich inzwischen als Vorhölle bezeichne. …“

Interview mit Waltraud Berle im Münchner Merkur

alt=

Pflegekatastrophe: Verwahrung

Es passte mir kein bisschen in die Lebensplanung. Meine Mutter wurde sonderbar, übellaunig, durch und durch negativ, abwehrend. „Demente werden zur Karikatur ihrer selbst“, sagte der Hausarzt. So fing die Vorhölle an, für meine Mutter und für mich auch. Demente werden verwahrt. Es ist schlimmer, als ein Knast es sein kann. Demente können sich nicht wehren und brauchen wehrhafte Angehörige. Haben sie meistens nicht, sondern angsterfüllte schockierte Angehörige.

Pflegekatastrophe – die böse Angehörige

Ich wurde die „böse Angehörige“, die das stinkende schlechte Essen monierte, die ihre Mutter verteidigte gegen lieblose pflegerische Maßnahmen im Minutentakt. Ich habe versucht, meiner Mutter die Würde zu erhalten. Das Buch ist der Versuch, mir die Vorhölle von der Seele zu schreiben mit einer Doku-Erzählung gegen die Altersdiskriminierung. Und es ist mein Protest gegen das widerliche Dahinvegetieren in deutschen Pflegeheimen. Die Pflegekatastrophe! Sie ist hausgemacht, weil eine indolente Politik lieber die ganze Welt retten will, als den eigenen Alten angemessene Lebensbedingungen zu schaffen.

Pflegekatastrophe – Steinzeit-Konzepte

Warum werden in Pflegeheimen uralte Konzepte der Beschäftigungstherapie angewandt? Wo die modernen Erkenntnisse der Hirnforschung leichtestens und mit demselben Geld helfen könnten, das Elend zu revolutionieren. Fortschrittsfeindlichkeit, Erstarrung in Politik und Gesellschaft, das sind meine Antworten. Daher Menschenrechtsverletzungen hier, auf deutschem Boden, in Ihrer und meiner Nachbarschaft, täglich stattfindend. Nach Auffassung der offiziellen deutschen Politik finden Menschenrechtsverletzungen weit weg statt, ganz woanders.

Es ist an uns Lebenden, das Elend zu beenden! Blühendes Leben statt Pflegekatastrophe!

Flourishing ist die modernste psychologischen Methode, der Martin Seligman den Namen gab. Warum wendet man sie nicht an?

„Wir lassen uns nicht verschaukeln!“

Schauen Sie mal, bitte: Ein Familienfoto. Die Damen gehören zur Gründergeneration der Bundesrepublik Deutschland! Die haben das Land aufgebaut. Deren Kinder und Enkel sitzen heute in den Pflegeheimen und werden behandelt wie Sondermüll.

alt=

Die zweite von links ist meine Oma Berta, die war Krankenschwester, hat zwei Weltkriege überlebt, drei Kinder großgezogen, ganz rechts ist Tante Emmi, die ebenfalls zwei Weltkriege überlebte und Onkel Alfred, den Architekten geheiratet hat. „Mach mir das Klavier nicht kaputt!“ sagte sie immer streng zu mir, wenn ich kam, um darauf zu klimpern. Als ob ich jemals ein Klavier kaputtgemacht hätte! Alles sehr couragierte Frauen, auch die Tante Emma  ganz links. Anständige Leute, Handwerkerfamilien, gottesfürchtig. Und nach 1945 begriffen sie sofort, was das Gute an einer Demokratie ist, die sich zu Freiheit und Menschenrechten bekennt: Man kann wählen, frei wirtschaften und kriegt für gutes Geld auch was Gutes.

Hätten die die Pflegekatastrophe miterlebt, dann hätten sie ihre Handtaschen gepackt, den Zug bestiegen Richtung Berlin, und dort hätten Sie der Frau Bundeskanzlerin links und rechts ein Paar auf die Ohren gehauen. Damit sie sich auf ihre Pflicht und aufs Grundgesetz besinnt.

„Schluss, sag ich! Von Menschen, die in Würde altern wollten.“

Erzähl-Dokumentation von Waltraud Berle.

Ein Sachbuch über die Pflegekatastrophe ist mein Buch nicht. Ich bin Partei und erzähle von Stolz und Würde im größten deutschen Elendsleben – das wir unseren Eltern zumuten. Es gibt Passagen mit sehr provokativem Charakter. Das ist Absicht. …

Leseprobe

#Gell, das wundert Sie, wenn Sie sie so kauern sehen in dem Rollstuhl. Eine Reiterin! Die Alte da? Mit den wackeligen Beinen? Dem albern dicken Windelhintern, dem steifen Kreuz? Aber, ha, da haben Sie eben noch nicht gesehen, wie sie die kleine knochige Faust auf den Tisch krachen lassen kann, die Frau Edith!

„Schluss isch, sag i!“ wenn der Frau Schuster wieder alles Essen durch die Zahnlücken hindurch auf den Tisch tropft.
„Des isch doch a Sauerei, noi, Pfui Deifel!“ Und, zack, hat sie ausgeholt und die Frau Schuster auf den Arm gehauen. „Du hörsch jetzt auf! Iss und friss ned!“
Ja, Frau Edith hat Frau Schuster manchmal auf den Arm gehauen, ich hab es gesehen! Frau Schuster tat dann so, als wolle sie gleich zurückhauen. Manchmal rief dann meine Mutter das „Schluss, sag ich!“

Jetzt erzähle ich Ihnen auch noch die Geschichte mit dem Flieder im Garten von Frau Edith. Das war so:

Einmal kam ich ins sogenannte Pflegeheim und am runden Tisch saß Frau Edith, sonst keine der alten Ladies. Auf dem Stuhl daneben ein Mädchen, vielleicht 16 Jahre. Vielleicht jugendbestraft? Vielleicht eine Praktikantin? Einfach so hatte man sie da hingesetzt, damit Frau Edith nicht alleine war. Seltener Anblick. Bei Frau Edith hatte bereits die Phase des Sprachverlustes begonnen. Vielleicht hatte sie unbemerkt einen Schlaganfall erlitten. Oder nur ich wusste es nicht. Jedenfalls gab es plötzlich und immer öfter Zeiten, in denen sie nur noch unverständliche Wortreihen von sich gab, in denen wie Inseln so Sachen gesagt wurden wie: „Un no, un no!“ Das heißt: „Und dann … und dann!“

Ich begrüßte Frau Edith in aller Form. Ich reichte ihr die Hand, was sie strahlen ließ. „Grüß Gott, Frau Edith!“, sagte ich, „auf wen schimpfen Sie denn so? Wer hat Sie denn so geärgert?“ Und so kamen wir ins Gespräch.

Und nun war Frau Edith komplett auf Zack. Flüssig, ganz normal redete sie und erzählte, wie sehr sie es geliebt habe, im Frühling durch den Garten zu streifen. Und wie sie überlegt habe, von welchem der Fliederbüsche in ihrem Garten sie den einen oder anderen Zweig abschneiden solle. Dunkelviolette Zweige, pastell-lilafarbene, weiße, alles habe sie im Garten. …

Ich kenne den Garten von Frau Edith nicht persönlich, aber ich weiß wie derartige Gärten in dieser Stuttgarter Wohngegend aussehen, wunderbar nämlich:
Da gibt es Rosenbeete, da gibt es jede Menge Flieder, gerne hat man auch die Frühlingspracht der Magnolienblüten im Vorgarten, es gibt duftende Jasminsträucher, Seerosenteiche, ja, vielleicht hatte Frau Edith sogar so eine säulenbegrenzte Sandsteinterrasse mit einer kleiner Freitreppe hangabwärts an ihrem Haus, hinten im Garten und auf der Zentralachse auch einen Springbrunnen.

Man kann das nicht ausschließen. Weiter hinten wuchsen bzw. wachsen vermutlich Stachelbeer-Büsche, Johannisbeeren in rot und schwarz, Rhabarber, dort gibt es dann auch Kirschen- und Zwetschgenbäume. Was man eben so braucht, um die Kellerregale mit Kompott und Marmelade zu füllen. Das ist so üblich in den Stuttgarter Höhenlagen.

Übrigens gibt es in diesen Gärten auch oft eine kleine Hintertür, die zu einer schmalen Treppe führt, über die man zu Fuß in wenigen Minuten nach unten ins Stadtzentrum gelangen kann. Diese alten Weinbergstaffeln sind der große Gag in Stuttgart. Früheste Fussgängerzonen, pfeilgerade Abkürzungen, von Bäumen und Büschen gesäumt, Rutschbahnen im Winter, blütenduftende Schattenpfade im Sommer.

„Krass!“ sagte das Mädchen und schaute jetzt die alte Lady gottseidank mit anderen Augen an. Sagen wir: Es leuchtete jetzt so was wie Respekt aus ihren Augen. Sagen wir so: Sie erkannte hinter dem körperlichen Wrack den ursprünglichen Menschen, sah das Schimmern der Persönlichkeit. Vielleicht kann man sogar von einem Seelenzipfel sprechen. Und so muss das sein, wenn man von Alten spricht und von Pflege. Man muss die Seelenzipfel sehen wollen und man muss sie packen!“ …#