Eltern und Kinder in der systemischen Familientherapie
Kapitel in diesem Beitrag:
Verlangt wird Hingabe: Mütter und Töchter
Da schrieb mir eine Mutter dies:
„Meine Tochter als auch ich sind beim Sprechen vor einer Gruppe „verklemmt“. Meine Tochter ist jung und ich möchte ihr helfen diese Hürde zu überwinden. Sie muss in der Schule in Deutsch eine Debatte vor allen Schülern halten und tut sich sehr schwer.
Wir sind wortkarg, sprechen undeutlich und schnell, ängstlich und wackeln vor Nervosität umher. Hinzu kommt, dass sie nichts liest und der Wortschatz nicht sehr groß ist. Das klingt jetzt schlimmer als es ist.“
Ich finde das schlimm genug, denn warum hat niemand die Mutter angehalten, ihrem Kind Freude am Lesen beizubringen? Und wo ist der Vater? Und warum schreibt die Dame ungerührt: „Wir wackeln vor Nervosität hin und her, sprechen undeutlich und schnell“? Denn: Warum hat sie noch niemals etwas für ihren gepflegten Kommunikationsstil getan? Zumindest um der Tochter ein gutes Vorbild zu sein?
Wir lernen vom Vorbild. Mutter und Vater sind die ersten Vorbilder. Kinder sind aus Sicht der systemischen Familientherapie Symptomträger – sie tragen die Probeme der Großen aus.
Deswegen mache ich keine Coachings mit Kindern, sondern nur mit den anfragenden Eltern. Die Mutter in diesem Fall hat die Chance nicht erkannt, sondern hat gekniffen. Sie wollte lieber die Tochter (be)arbeiten lassen.
Systemische Familientherapie will nicht Symptome behandeln, sondern Probleme lösen.
Verlangt wird Vorleben: Väter und Söhne
Ein Mann kriegt einfach nicht den Fuß auf die richtigen Stellen im Leben. Er eiert herum, er wird als Hochbegabter und praktisches Multitalent nicht im Ansatz genug gefördert von seinen Eltern.
Die Mutter war mit 3 nachfolgenden Kindern und ihm, dem Ältesten, offenbar komplett ausgelastet. Der Vater segelte selber ein Leben lang under cover, also kriegte er ebenfalls nie seine PS auf die Straße.
Ich frage schnell nach der Familiengeschichte. Es zeigt sich: Der Großvater, ein Universitätsprofessor und als Freiherr Angehöriger des niederen Adels, aber doch, verschwand nach der Geburt seines unehelichen Sohnes. Der Vater meines Klienten war ein uneheliches Kind, vaterlos aufgewachsen.
Was für eine tiefe existenzielle Kränkung! Wie sollte er gelernt haben, was Vaterliebe ist und väterliche liebevolle Führung? Der Vater hat es nicht gelernt. Mein Klient hat es vermisst und sich bemüht, sie seinen Kindern angedeihen zu lassen. Nun lernt er im Coaching die Selbstliebe!
Ssystemische Familientherapie weiß: Kinder brauchen Väter, die Leitplanken aufzeigen und auch vormachen, wie man die gelegentlich ignoriert.
Was sind Ihre Vorbilder (gewesen)?
Udo stottert! Ein Praxisbeispiel.
Nehmen wir den kleinen Udo. Er war das jüngste von zwei Kindern einer insgesamt sehr hochbegabten Familie aus sehr durchsetzungsstarken Menschen: Vater, Mutter, die ältere Schwester – alle sehr tatkräftig, sehr strukturierte und zugleich leidenschaftliche Menschen, außerordentlich redegewandt. Die Schwester eine intellektuelle Überfliegerin, ein Vorzeigekind.
Udo, der zarte Nachzügler-Junge, fing das Stottern an. Nun hatte die ganze Familie ein Prestige-Problem, denn wie peinlich bei all dem Erfolg, so ein stotterndes Kind, das geistig beeinträchtig wirkte. Udo stand spürbar unter einem gewaltigen Stress, war hochnervös, brachte die Worte nicht in Sätze, sondern produzierte Artikulations-Staus – das ganze Familiengelärme verhinderte, dass er seine insbesondere emotionalen Bedürfnisse artikulieren konnte, verhinderte überhaupt Emotionalität, Wärme und Geborgenheit. Udo spiegelte einen gewaltigen Gefühls-Stau der ganzen Familie.
Aus Sicht der systemischen Familientherapie, als deren Zentralfigur die Amerikanerin Virginia Satir gilt, musste das gesamte Familiensystem unter die Lupe genommen werden. Die Eltern, hätten sie die Herausforderung angenommen, hätten sich einen Therapeuten oder Coach gesucht. Sie wählten aber den bequemeren Weg und schickten ihren Sohn zu allen möglichen Ärzten. Udo wurde zum Problem erklärt – für ihn eine verhängnisvolle, die Qualität seines Lebens nachhaltig beeinträchtigende Sache. Udo bekam Retalin. Der Bote wurde nicht hingerichtet, aber ruhig gestellt.
Virginia Satir war eine therapeutische Revoluzzerin. Mehr über sie und ähnliche Genies, Vorbilder für mich:
Und Sie? Wie gehen Sie mit Ihren Kindern um?
Mir scheint, dass die Zeitungen voll sind von gehypter „Baby-Liebe“. Sobald eine Prominente schwanger ist, zeigt sie ihr goldig in Szene gesetztes Babybäuchlein herum. Als ob es darauf ankäme!
Es ist ja kein Dauer-Baby, was da am Wachsen und Kommen ist, sondern ein Mensch, eine Persönlichkeit.
Für diese Persönlichkeit trägt die gefallsüchtige Bauch-Herumzeigerin jetzt schon Verantwortung und der Vater ebenfalls.
Wird sie ihr heranwachsendes Kind später ebenfalls als Prestigeobjekt so herumzeigen?
Dann wird dieses Kind emotional einfrieren und verarmen.
Verantwortung, Nachtwachen, Hingabe
Babies sind süß, aber nicht nur, sondern sie schreien in der ersten Zeit ziemlich viel und sie machen die Windeln voll zur Unzeit. Denn sie sind keine Fohlen, die sofort nach der Geburt aufspringen und selbsttätig nach der Muttermilch suchen, also eigentlich schon lebensfähig sind. Babies sind im Vergleich noch gar nicht lebensfähig, sondern brauchen unsere Energie. Sie erzwingen Nachtwachen von uns, sie verlangen Zuwendung, Gedankenarbeit und Hingabe. Wir müssen uns ganz ordentlich zurücknehmen mit unserer Eitelkeit und unserem Plandenken.
Eigentlich.
Oder wird die Mama das Baby eiligst schon nach wenigen Monaten oder sogar Wochen in einer „Krippe“ abgeben, als säßen dort Maria und Josef schützend herum und nicht zumeist junge, unreife, schlecht ausgebildete, unterbezahlte, unzufriedene Aufpasserinnen, bei denen man als Mutter und Vater zumindest versuchen sollte eine persönliche Eignungsprüfung durchzuführen.
Damit den Kindern in den Krippen und Horts nicht haarsträubender Unsinn eingetrichtert wird.
Eignungsprüfungen machen die jungen Eltern aber nicht, weil alle dem Narrativ aufsitzen, „FRAU“ müsse schnellstens nach der Geburt wieder ihrer Karriere hinterherlaufen und leider, leider gebe es auch einen Kinderkrippen-Mangel. So dass man sich das verantwortungsvolle Selbst-Denken nicht leisten könne, sondern nehmen müsse, was da ist.
Verweigerung der Verantwortung ist mangelnde Selbstverantwortung ist Unreife:
„Wenn das Volk kein Brot hat, soll es Kuchen essen!“
Sie wissen, angeblich war es Marie-Antoinette, die das sagte. Sie schob damit ihre Verantwortung weit weg und wurde geköpft.
Verantwortung würde bezogen aufs Kind bedeuten: Wenn es keinen Kinderkrippen-Platz gibt, dann muss ich halt selber mein Kind pflegen und hegen und darf es dafür heranwachsen sehen!
Im Grunde muss ich vor der Zeugung eines Kinder Verantwortung übernehmen und mir genau überlegen, wie ich dieses Kind bestmöglich fördern werde können.
Das jammervolle Rufen nach „der Gesellschaft“ und „dem Staat“ ist doch ein Armutszeugnis. So benehmen sich Untertanen- und Opfer-Menschen, die sich vor der Verantwortung drücken.
In Wirklichkeit kneifen sie aus in die Phantasielosigkeit. Die nämlich verlangt zu sagen: „So, wenn das XY nicht geht – was geht dann?“
Wenn es keinen „Krippen“-Platz gibt, ist das vielleicht eine Riesenchance für persönliches Wachstum? Für situationsadäquates neues Nachdenken und Überprüfen der alten Positionen. für die Hinwendung zum eigenen Kind mit allen Beglückungen, die Kinder für wachstumsbereite Erwachsene mit sich bringen.
Nur mal so zum Nachdenken ein kleiner Zwischenruf vom Coach.
Das Beitragsbild zu Beginn ist von Toni Ungerer und kommt aus unserem alten Familien-Liederbuch, in dem es wunderschöne Bilder, Volkslieder und Gute-Nacht-Lieder gibt.
Toni Ungerer: das große Liederbuch. Diogenes-Verlag.