Gustl Mollath
Kapitel in diesem Beitrag:
- 1 „Das ist ein Antreten gegen ein Staatssystem!“
- 2 Gustl Mollath: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“
- 3 David gegen Goliath: Helden müssen verrückt sein
- 4 Aus der Norm gefallen
- 5 Schluss mit Lustig, Talfahrt, Bruchlandung
- 6 „Ich bin schon ruiniert“…
- 7 Beraubung der Freiheit der Würde
- 8 „Man überlegt schon die ultimative Flucht“
- 9 Werden Köpfe rollen oder soll Gras wachsen
- 10 Was kostet Menschenwürde
- 11 „J’accuse“, schrieb Émile Zola 1898
„Das ist ein Antreten gegen ein Staatssystem!“
Gustl Mollath: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“
Gustl Mollath ist die Hauptfigur eines Horrortrips, der zur Heldengeschichte wurde.
Man wies ihn unschuldig in die Hochsicherheits-Psychiatrie ein, hielt ihn dort fast 8 Jahre fest ohne Perspektive auf Freilassung, wie sie sogar Schwerverbrecher haben, die ihr Strafmaß ja aus einem Urteil kennen. 2013 kam Gustl Mollath frei, weil Menschen mit Zivilcourage, Bürger und engagierte Rechtsanwälte, keine Ruhe gaben. Ihnen gelang es, die schier unglaubliche Mauer aus Gutachter-, Justiz- und Staatsunwesen in Gestalt von Psychiatern, Richtern, Staatsanwälten, Aufsichsbehörden, Ministerien, Mitgliedern der Landesregierung zu durchbrechen. Ein neues Gerichtsverfahren wurde erzwungen, Mollath 2014 freigesprochen. Allein wäre Gustl Mollath gegen die Übermacht aus Verantwortlungslosigkeit, Bösartigkeit, Ignoranz und Vetternwirtschaft im Verein mit korrupter Habgier verloren gewesen. Alle seine Briefe, Eingaben, Anträge wurden ignoriert, belacht, seine Charakter- und Persönlichkeitsstärke, die ihn nicht aufgeben ließ, wurde als Beweis seiner angeblichen Verrücktheit gewertet.
„Es war keine Chance, auf rechtsstaatlichem Weg etwas zu erreichen. Öffentlichkeit war die winzige kleine Chance!“ Und unbeirrt trotz aller Demütigungen hat Mollath diese Chance genutzt.
David gegen Goliath: Helden müssen verrückt sein
So gehen Heldengeschichten.
Eine Heldengeschichte ist immer eine Geschichte von Herausforderung, Kampf und Sieg. Ein Individuum wird zum Helden, weil das Leben existenzielle Stolpersteine in den Weg wirft. David wurde sicherlich für verrückt gehalten, ehe er Goliath besiegte und seither unser Held ist. Opfergeschichten sind niemals Heldengeschichten, eine Heldengeschichte braucht den Sieg über den Opferstatus. Es sind immer Geschichten von Wandlung, Wachstum und Seelenstärke. Exorbitante Geschichten, bewegend, erschütternd, begeisternd. Heldengeschichten verändern individuelles Leben und sind oft Zündfunken für große Menschheitsveränderungen.
Schauen wir uns die von Gustl Mollath daraufhin an, es ist eine Geschichte von Liebe und Hass, Demütigung und Menschenwürde, Erstarrung und Freiheit.
Aus der Norm gefallen
Mollath, Waldorfschüler, war Absolvent der renommierten Hibernia-Schule in Herne. Er hat, wie nur dort möglich, die Schulzeit mit Abitur und Gesellenbrief abgeschlossen. Ein Maschinenbau-Studium hängte er an den Nagel und wurde Autoschrauber: Ehe im reifen Alter der Horror seines Lebens begann, lebte er verheiratet in guter Nürnberger Wohngegend im von den Eltern geerbten Haus. Sportwägen, Freunde, Autorennen, Ehefrau. Gustl Mollath hatte eine Spezial-Werkstatt für Oldtimer-Sportwagen, die er reparierte, aufpeppte und hegte und pflegte. Rockendes Leben, so scheint es, Saus und Braus mit Blei im Blut.
Schluss mit Lustig, Talfahrt, Bruchlandung
Eines Tages merkte er, dass seine Frau krumme Geschäfte machte. Auf eigene Rechnung und im Auftrag einer Bank für Nürnberger und andere Reiche transportierte sie Schwarzgeld in die Schweiz. Er zeigte es an. Die Frau wehrte sich und schaffte es mit hervorstechender Boshaftigkeit, ihren Mann als gemeingefährlichen Psychopathen dastehen zu lassen. Ganz offenbar wurde sie unterstützt dabei von Juristen und Psychiatern, die finanziell selber von ihren Geschäften profitierten. Mollaths Anläufe, ihre Machenschaften offenzulegen, wurden als Beweise für Wahnvorstellungen gewertet und verschlimmerten seine Lage nur: Man erklärte ihn für verrückt, setzte ihn fest und außer Gefecht für 2.800 Tage oder 7,5 Jahre.
„Ich bin schon ruiniert“…
antwortete Gustl Mollath auf eine Journalisten-Frage, ob die angestrebte Klage wegen Amtspflichtverletzung vor dem Münchner Oberlandesgericht ihn nicht womöglich völlig „ruinieren könnte“.
Als der Horror begann, war Gustl Mollath noch nicht ganz 50 Jahre alt. Also in der Mitte des Lebens, auf dem Höhepunkt der Kraft, in einer biographischen Blütezeit. Es folgte High-Speed-Höllenfahrt in die Unterwelt der Psychiatrie in den Zustand der kompletten Ausgeliefertheit, neben Sexualtätern, Kinderschändern und sonstig als gemeingefährlich und geisteskrank eingestuften Leuten, „denen unsere Sympathie üblicherweise nicht gilt“, wie Mollaths Anwalt es ausdrückte, der die Schadenersatz-Klage vertritt. In deren Folge in Bayern Köpfe rollen werden, denn es geht um Amtspflichtverletzung von Amtsträgern.
Beraubung der Freiheit der Würde
Mollath hat alles verloren, was wir als Habe bezeichnen. Die bürgerliche Existenz mit ihrer scheinbaren Sicherheit, an der sich die meisten von uns angstvoll mit aller Kraft festklammern, für die sie auch die faulsten Kompromisse einzugehen bereit sind – sie wurde ihm weggerissen mit einer Brutalität, die wir aus griechischen antiken Tragödienspielen kennen und die uns immer die Frage nach Sinnhaftigkeit aufdrängt.
Lebensgestaltungs-Kompetenz und Wehrhaftigkeit sind Merkmale der Erwachsenheit. Hilflosigkeit und Ausgeliefertsein bedeuten Zurückgeworfenwerden in kindliche Unreife- und Machtlosigkeitszustände. Mollath hat einen kompletten Verlust seiner Identität erlebt. Für jeden Tag in der psychopathologischen Unterwelt mit Identitäts-Verlust bekam er inzwischen vom Freistaat Bayern 25 Euro Entschädigung, insgesamt 70.000 Euro. Das ist der deutsche Entschädigungssatz – sogar Spanien, eines der ärmsten EU-Länder, zahlt Justizopfern pro Tag 250 € Entschädigung. Sagen wir so: Es passiert einem so eine grausige Geschichte wie die von Mollath besser nicht ….
Wie hat er das geistig und körperlich unbeschadet durchgehalten?
„Man überlegt schon die ultimative Flucht“
So nennt Gustl Mollath den Suizid. Er hat Selbstmorde anderer in der Psychiatrie erlebt, es hat ihn zusätzlich erschüttert, sie nicht verhindern zu können. Er hat selber daran gedacht. Er hat das Beten angefangen.
Resilienz meint: Wir zerbrechen an den Umständen – oder wir wachsen daran. Was hat ihn überleben lassen – und zwar ganz offensichtlich zwar „gezeichnet“, aber gesund an Körper und Geist.
Auf meine Frage sagt er: „Sie beten! Sie bitten flehentlich um Hilfe! Ich habe bei jedem Hofgang, bei jedem Schritt gebetet.“ Und er sagt noch dies: „Ich kann immer das Positive sehen. Das konnte man mir nicht nehmen!“
Den Tapferen hilft Gott …. Ich denke schon, dies ist eine der Tugenden von Gustl Mollath: Echte Tapferkeit, was ja mutig, kühn, furchtlos heißt. Im Althochdeutschen bedeutete tapfer auch gewichtig, schwer. Im Frühneuhochdeutschen wurde Tapferkeit auch mit Würde konnotiert.
Wie ich Herrn Mollath da stehen sehe vor den ganzen ausgebufften Journalisten, wie er ruhig, sorgfältig, abwägend, hochkonzentriert, souverän und stolz, oft lächelnd an diesem Tag wieder unzählige Fragen beantwortet, hinterher jede Menge Interviews in Fernsehkameras hinein gibt, wie er Hochachtungsbezeugungen unsentimental freundlich entgegennimmt – er ist der wandelnde Beweis für die Richtigkeit der Resilienz-Psychologie, die sich in dem Satz ausdrücken lässt: „Was dich nicht umhaut, macht dich stark.“
Mollath hat den Verlust seiner Identität erlebt. Und er hat die wahre Stärke seiner Persönlichkeit dadurch kennengelernt. Er will jetzt sein Leben neu gestalten.
Werden Köpfe rollen oder soll Gras wachsen
Die Drachen in Mollaths Heldengeschichte hatten solche Namen: Herzlosigkeit, Korruption, Feigheit, Habgier, Mangel an Gefühl und insbesondere an Bewusstsein für Verantwortung. Ich denke, ein besonders übler Drachen-Gegenspieler ist der Zustand der Staatsorgane in Deutschland, die so verlottert und verfilzt aus Karrieregeilheit und Parteien-Nepotismus sind, dass Menschlichkeit kaum noch Platz hat. Hilfeersuchen von Bürgern, denen Unrecht geschieht, müssen zwingend in einer Demokratie schnellstens beachtet und anständig beantwortet werden, soll der Staat nicht Diktatur genannt werden. Ich folge hierin der unübertroffenen, klaren Definition von Hannah Arendt.
Als Mollath aus der Psychiatrie entlassen wurde, interessierte es offenbar von den Verantwortlichen keinen, wohin der Mann gehen würde, was er essen, anziehen, wo er schlafen solle. Wie so ein Mensch leben sollte, dem man alles genommen hatte. Als er an Ministerpräsident Seehofer herantrat, dauerte es ein halbes Jahr, bis Antwort kam. Mollath begründet seine Klage auf Schadenersatz unter anderem mit dem Grundgesetz:
In Artikel 34 heißt es: „Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.„
Was kostet Menschenwürde
Sein Anwalt habe ihn kürzlich in München zum Essen eingeladen, erzählte Gustl Mollath im Münchner Presseclub. Ein ganz kleiner Italiener, nur ein paar Tische. Der habe eben erst die Küche komplett renoviert. Ob man wisse, was so was koste? Niemand wusste es. „Das kostete 500.000 Euro, eine halbe Million kostete das! So eine kleine Profiküche. So teuer!“ Ihm habe man das elterliche Haus angeblich wegen einer Hypothek von 30.000 Euro zwangsversteigert. Vorher alles rausgeschmissen, auch seine Werkstatt mit all den Oldtimern von Ferrari, sämtliche Dokumente vernichtet über vergangene Reparaturen, Aufzeichnungen über technische Verbesserungen, sämtliche kostbare Ersatzteile seien weg. „Ich hatte in Nürnberg ein Haus, einen großen Garten und eine Profi-Werkstatt …“ Die Bayerische Staatsregierung will Mollath mit 170.000 Euro „entschädigen“. Eine bürokratische, arroganz-mächtige Schamlosigkeit.
„J’accuse“, schrieb Émile Zola 1898
Sagen wir so: Es sind wegen Ungeheuerlichkeiten wie dem Polit-Skandal um Gustl Mollath schon oft Regierungen gestürzt und Staaten umgekrempelt worden. Der Schriftsteller Émile Zola deckte mit seinem legendären J’accuse die antisemitische verheerende Intrige gegen den Hauptmann Dreyfuss auf und bewirkte in Frankreich einen Aufschwung des Liberalismus sowie die seither dort geltende Trennung von Kirche und Staat.
Ich denke, die Heldengeschichte von Gustl Mollath ist noch gar nicht zu Ende. Teil Zwei hat eben begonnen. Ein Sieg wird ein Sieg über versteinerte Macht-Strukturen sein und wird Bewegung in Herzen bringen, so dass eine Gesellschaft wie die unsere, die momentan Status Quo, bürokratisches Reglementieren und verschrobene „Lebens-Alternativlosigkeit“ vergöttert, aufwacht. Der Profit wird neue Lebendigkeit sein.
„Man müsste mal in sich gehen“, sagte Gustl Mollath, „man müsste mal sagen: Mensch, wie können wir viele Dinge anders machen!“
Manchmal reicht gegen vermeintlich ewige und unbesiegbare Riesen eine gut geführte Steinschleuder! Wir lieben Heldengeschichten, weil sie uns Mut machen und Ansporn geben im Kleinen und im Großen. Fassen wir also Mut: Wenn Dinge nicht mehr funktionieren, muss man, wie Herr Mollath es vorgemacht hat, irgendetwas neu und anders und besser machen und seine Chancen erkennen und nutzen.
Foto: ©Georg Höhenleitner, München