Honig im Kopf
„Ich“, sagte die Frau, „habe Ihr Buch übers Problemwegzaubern gelesen …ja aber wenn das so einfach wäre…!“ Ich verstehe sie vollkommen, denn es gibt Probleme, die man nicht wegzaubern kann. Vielleicht hätte ich Sturheit gebraucht, um diesen leicht angeberischen Titel zu verhindern. „Problemwegzaubern“. Eigentlich sollte das Buch ganz leichtfüßig nur heißen „Taschentricks gegen Durchhänger, schwarze Tage und schlechte Chefs“. Dann sagten die Verlagsdamen, Problemwegzaubern klinge netter. Ich hatte Unbehagen, ich traute mich nicht … so schaut das aus. Also hätte ich Mut gebraucht, der in unbeirrte Handlung gemündet hätte, und eine Haltung, welche man im Alltagsleben Sturheit nennt.
Das ist eine der kleinen aber hilfreichen Lern-Strategien, die ich in dem Buch beschreibe. Nicht die anderen beschuldigen, sondern Verantwortung übernehmen für das eigene Tun, damit man’s beim nächsten Mal zielführender hinkriegt.
Ich bin ja schwäbisch-alemannische Handwerkertochter, sonderbare Mischung, genau. Jedenfalls neigen Leute wie wir hier nicht zur Großsprecherei, sondern eher zum gründlichen zielorientierten Schaffen, Erfinden, Umsetzen, Wirtschaften. Daher vielleicht kam dieses unterschwellige Unbehagen gegen das Problemwegzaubern.
Denn wer zaubert jetzt wieder in Sachen meines Patenonkels? Dessen Leben ganz deutlich am Verlöschen ist. Der nun auch im Pflegeheim angelandet ist, wie damals seine Schwester, meine Mutter, über die ich mein neues Buch geschrieben habe, weil ich im würdelosen Heimleben ihre Größe entdeckte und die Größe einiger anderer Hoheiten. Und dieser Onkel wird nun immer dünner, mag nichts mehr essen, nichts mehr trinken, kann nicht mehr pinkeln, döst hinüber in die andere Welt, von der wir nichts genaues wissen und vor der wir uns deswegen entsetzlich fürchten.
Auch wenn Frau Kübler-Ross schreibt, die Sache mit dem Tod sei relativ: Für eine Raupe ende zwar ein Leben, aber im selben Moment beginne es für einen Schmetterling!
Sehen Sie, das sind Probleme, die kann gar niemand wegmachen und auch nicht wegzaubern. Und da lässt sich auch nicht sagen: „Stell Dir doch vor, wie Du Dich fühlen würdest, wenn Du mehr Vertrauen hättest…“ Trotz des Schmetterlingsbildes will mich das Mitleid weiterhin schütteln und zerreißen. Weil es Momente im Leben gibt, wo einem das Herz brechen will. Das konkrete Leiden anderer Menschen schafft solche Momente. Denn es ist gar kein bisschen lustig, auch wenn Til Schweigers Film „Honig im Kopf“ das vorgaukeln will, so dass ich das geradezu frivol finde. ehrlich: das ist ein Film, der das Prädikat Kitsch verdient.
Aber der langsame schmerzliche Alterstod lässt sich nicht verkitschen. Diese Begegnung schiebt uns an die Grenze des Seins und zeigt die Grenzen unserer Persönlichkeits- und Handlungsmacht. Da fangen wir wieder an zu beten und hören auf das, was unser Herz uns nahelegt. Wenn die Angst uns schüttelt, beten wir um Vertrauen und um Stärke. Und genau das wünsche ich der Buchleserin, die nämlich bereits in einem Alter angekommen ist, wo sie sich über den neuen Tag nicht mehr freut, weil er nur einer von denen ist, die sie dem Tod näherrücken.
Ich finde eine Sache richtig berührend in Schweigers Film: Er zeigt, wie Menschen reagieren, wenn sie mit menschlichem Leid konfrontiert werden: Sie öffnen ihre Herzen, das Alltagsrauschen wird leiser, Augenblicke werden weich und zeigen Empathie. Das stärkt das Weltvertrauen wieder.