Geburtstage steigern das Alter

Helfen Geburtstage gegen das Alter?

Leute, die mich kennen, wissen, dass ich absolut etwas gegen die Schönfärberei der Mitbewerber habe. Gegen diese Kollegen und Motivations-Heizer, die so tun, als sei jegliches Problem mit dem richtigen Tschakka-Tschakka-Rufen zu verjagen. Das ist gelogen.

Gegen das Alter hilft nichts. Das ist die korrekte Antwort.

Die Falten werden immer mehr, die Jungen führen Wörter im Mund wie „Gammelfleisch“, wenn sie von Menschen reden, die älter sind als 35, die Haare werden dünner. Du kannst froh sein, wenn sich jahrelanges Training an Körper und Geist in Form von Vitalität und viel an Flüssig-Intelligenz auszahlt. „Liquide Intelligenz“ hat man in der Jugend, nachlassend mit den Jahren, was aber ausgeglichen werden kann durch die Zunahme an „kristalliner Intelligenz“, die man auch Erfahrung nennen und als Schatz rühmen kann. Das eine kann das andere aufwiegen – immerhin!

Think positiv

Ah, ja, oft ist es einfach wie Pfeifen im dunklen Wald, dieses undifferenzierte „Think-Positiv-Rufen“ der Millionen Top-Speaker Number One. Ich hörte, Münchner Kollegen hätten so einen Tschakka-Tschakka-Tag in der Olympiahalle nun abgeschafft und zwar mit der Begründung, es helfe nicht. Die Tausende Zuhörer könnten das ganze Gute nicht in den alltag integrieren. Na, eben.

Ich habe das nie geglaubt, dass man alles Negative wegdenken und -reden könne. Es gibt Probleme, die gehen nicht weg. Das Alter ist eines davon, man kann es drehen und wenden, wie man will: Es ist ein heikles Thema, heißes Eisen.

„Der körperliche Verfall ist entsetzlich“, sagte eine ziemlich bekannte Schauspielerin, als sie so circa auf 66 Jahre gezählt wurde. Das stimmt. Und sie hatte viel Mut bei dieser drastischen Formulierung.

Deshalb wollen wir alle nicht alt werden. Aber wir wollen alle lang leben. Ganz schön verrückter Widerspruch. Man kann ihn verdrängen – aber wenn die Glückwunschkarten im Briefkasten liegen, wird der Schutz-Wall eingerissen. Erbarmungslos. Heute ist so ein Tag in meinem Leben, wo der Schutzwall wieder torpediert wird. Eben kam die Glückwunsch-SMS eines verflossenen Liebhabers und als ich früh zum Joggen weg war, rief mein Sohn an. Ja, klar, es freut mich natürlich doch, obwohl ….

Schon wieder ein Geburtstag mehr, herrjeh!

Ja, heute, genau heute hat die Coachfrau Geburtstag und sie hat einen „Moralischen“, einen echten Durchhänger.

Da hilft es nichts, dass die Coachfrau es hält wie der Karl Lagerfeld, der auf die prekär freche Frage „Na, wie alt sind Sie eigentlich schon?“ zu sagen pflegte: „Das habe ich ganz vergessen, denn in meinem Haus werden keine Geburtstage gefeiert!“ Wenn Sie mögen, dürfen Sie gerne in meinem neuesten Buch meine sehr dankbaren Reflektionen über den großen Karl nachlesen. Ein ermutigender toller Typ war das.

Also ich habe mit dem Nicht-Feiern schon vor dem 50. Geburtstag angefangen. Den habe ich bis jetzt noch nicht gefeiert. Und es müssten schon sehr besondere Glücks-Umstände in mein Leben treten, das sie bewirken könnten, das ich vielleicht noch nachfeiere. Und die übrigen Geburtstage seither dann natürlich auch …. nein, keine Ahnung, wieviele es waren ….

Alter ist das Schwinden der Möglichkeiten

Als ich das zum ersten Mal in einem der psychologischen Grundlagenbücher im Pädagogik-Studium las, staunte ich sehr ergriffen: „Alter ist, wenn man die Möglichkeiten schwinden sieht.“ Ich hatte ja keine Ahnung von der Sache. „Oh, die armen Menschen!“, dachte ich und meinte vor allem Vater und Mutter, die damals in ihren 50ern waren. Ganz schön uralt also …

Ich hatte zu dem Zeitpunkt ungefähr 24 Jahre gelebt, hatte die Lebensgefahr meiner eigenen Geburt überstanden, eine grausige Menge von Langeweile in 13 Jahren Schulzeit ausgehalten, was aber nichts wog gegen die ewigen Streitereien und das Gebrüll meiner mit sich selber unglücklichen Eltern, das ich ebenfalls überstanden hatte. Nun hatte das richtige Leben angefangen. Ziemlich viel Flower-Power in den 70ern und 80ern.

Es war ganz klar: Vor mir das Leben wie ein Füllhorn. Sterben taten nur irgendwelche Anderen. Ich hatte den Verdacht, dass diese irgendwas falsch machten, weil sie ansonsten ja doch weitergelebt hätten. Arroganz der Jugend, die ich heute mit steigendem Missbehagen aus  Betroffenheit bei den heute Jungen wieder entdecke.

„Ach, Sie haben doch keine Ahnung, Sie junges Ding“, sagte mir 10 Jahre später im Deutschlandfunk ein Kollege, mit dem ich das Thema aus traurigem Anlasse erörterte. Eine Redaktionskollegin war gestorben. „Sie haben keine Ahnung – bei mir aber kommen die Einschläge immer näher, widerlich ist das!“

Inzwischen weiß auch ich: Zum Leben braucht man Mut.

Hier geht es zu meinem Buch MUT-TANKE 2021 erschienen.

Das Leben macht halt

Keine Ahnung, ob er überhaupt noch lebt, Alter!

Ich habe ihn inzwischen eingeholt an Erfahrungen. Auch ich weiß inzwischen, wie gemein einen das Leben zausen kann: Menschen kriegen Krebs, haben Eltern, die sterben und vorher dement werden, so dass man als Tochter am eigenen Verstanden zweifeln will, weil man vor diesem Grauen gerne weglaufen würde, das nur aber könnte, wäre man ein verantwortungsloser Mensch. Ich hätte diesen Kampf um die Würde meiner alten Mutter lieber nicht führen müssen, denn er hat mir brutale Grenzen aufgezeigt …

Jetzt zeigt mir das Finanzamt Grenzen auf, weil man dort plötzlich wissen will, ob und wieso ich als Freiberuflerin ein Arbeitszimmer habe und das auch noch in der eigenen Wohnung. Auch der Vermieter stört sich daran und hat mir fristlos gekündigt. Pars pro toto: Es geht letztlich um persönliche Freiheit der Lebensgestaltung: wieviele Möglichkeiten bietet das Füllhorn des Lebens noch ….

Live is Life

Ich glaube ja an Ziele, selbst dann wenn ich diesen Durchhänger habe. Ich weiß einfach und sehr gut, was Ziele in einem Menschenleben bewirken können: sie machen Zuversicht, sie geben Kraft und sie führen in der Regel zum Erfolg, was nichts anderes ist, als das Erreichen von Zielen. Erfolg ist, wenn man seine Ziele erreicht. Und da gilt der Lehrsatz, dass es keine „unmöglichen Ziele“ gibt, denn „unmöglich“ heißt ja nur, dass wir Lösung und Weg bis heute noch nicht gefunden haben. Das ist fein und tröstlich!

Ich habe die Lösung für einige Projekte und Groß-Ziele noch nicht gefunden – ich werde sie finden! Das heißt das. Sie sollten es sich gut merken, für den Fall, dass auch Sie mal so einen Durchhänger erleben, sei es am Geburtstag oder sonstwie.

Dank an mich

Einmal sah ich ein Brillenputztuch in der Buchhandlung mit drei sehr dicken, sehr geschminkten, modisch gekleideten und circa 80-jährigen Amerikanerinnen, die grimmig und sehr großzähnig grinsten. Drüber stand, Alter sei, wenn man sich keine Sorgen um die Zukunft mehr machen müsse. Das ist ein echt komisches Brillenputztuch, ich habe sehr gelacht, als ich es sah. Die ungefähr 25-jährige Buchhändlerin fand das mit dem Satz von Rahel Varnhagen schöner „Was machen Sie? Nichts! ich lasse das Leben auf mich regnen.“

Ich bin jetzt mal kühn und behaupte: Alter ist, wenn man die Gelassenheit besitzt, das Leben auf sich regnen zu lassen, die Weisheit, die Möglichkeiten in den Unmöglichkeiten zu erkennen sowie den Willen, alle Chancen bestmöglich zu nutzen. Nicht schlecht, oder?

Und man kann es nicht immer nur regnen lassen, man muss manchmal auch grimmig grinsen und Zähne zeigen.

Also wenn Sie mich jetzt im Moment fragen würden, wie alt ich heute geworden bin, würde ich sagen: Noch längst nicht alt genug, um alle meine Ziele erreicht zu haben. Ich danke mir selbst dafür.